Montag, 20. Oktober 2008

Mitten in Accra,

an einem der größten Knotenpunkte der Stadt, dem Kwame Nkrumah Circle (genannt: Circle, gesprochen etwa: Cärl) habe ich das Gefühl, als würden die Leute, die am Straßenrand Handys, alte Socken und Süßigkeiten verkaufen. mich mittlerweile kennen: Es greifen keine Hände mehr nach mir, es brüllt niemand hinter mir her. Vielleicht hat es sich herumgesprochen, dass ich hier ein paar Mal die Männer angemotzt habe, die mich am Oberarm packten.
Accra ist trotz seiner Größe und Unübersichtlichkeit doch irgendwie ein Dorf: Ständig begegnet man Leuten wieder, Dinge sprechen sich schnell herum. Obwohl alles permanent in Bewegung scheint, stehen doch immer die selben Leute an immer den selben Ecken, viele kommen nur selten aus ihren Vierteln heraus.
Und doch ist für viele aus den Villages Accra die große Freiheit.
Es drängt und zieht sie von Dörfern in die Metropole und so wächst Accra rasant und massiv: 1960 lebten hier etwa 338000 Menschen, 1980 waren es bereits an die 965000 und heute drängen sich 2,5 Mio. Menschen im Stadtgebiet (laut Ghana Statistical Service, Hochrechnung auf Grundlage der Volkszählung 2000). Die Stadt wächst nicht nur (unkontrolliert zu meist) an den Rändern, sondern wuchert auch in sich, erstickt an Abfällen und ist verstopft von Verkehr. Für knapp 2 Km vom Circle zum Makola Market braucht mein Trotro an einem Samstagnachmittag eine gute Stunde! Ich beobachte während des Stillstandes eine Gruppe aus fünf kleinen Jungen, die sich auf dem gepflasterten Streifen zwischen den Fahrspuren um das Wohlergehen eines Schafes kümmern, das einer von ihnen an einer Leine hält. Die Jungen rupfen vertrocknetes Gras, das um einen Strommast wächst, legen es dem Schaf vor die Schnauze und streicheln es sanft und ohne Unterlass. Dort, mitten auf der Straße, zwischen einer hupenden Blechflut und Abgasen wuseln sie um dieses erbärmlich hässliche Zottelvieh herum, das vermutlich auf eben diesem Mittelstreifen gezeugt und geboren wurde, geschlachtet und als Kebabspieß verkauft wird; Die Aktionsradien in dieser großen Stadt sind klein und die Beschäftigungsmöglichkeiten gering. Und doch gilt so vielen Accra als der Ort der Moderne, des Fortschritts und der beinah unbegrenzten Möglichkeiten. Und in irgendeiner, in dieser gewissen Weise, mit Blick auf die Lebensumstände in anderen Regionen des Landes, mögen sie Recht haben. Das Stadtleben entlastet von so manchen Unannehmlichkeiten. Immerhin haben 91% der Menschen in der Stadt Zugang zu Schulbildung, Strom und sauberen Wasser (64% sind es auf dem Land). Theoretisch steht eine Menge zur Verfügung - wenn man’s sich leisten kann, versteht sich - wie z.B. Nahrungsmittel, die nicht erst in mühevoller Arbeit selbst hergestellt werden müssen, sondern als Fertigprodukte im Supermarkt stehen. Mit all den Strapazen, denen die Menschen in der Stadt entgehen, schwinden aber auch ihre Aufgaben, mit den gewonnen Freiheiten von Familie und Tradition, wird das Netz der sozialen Unterstützung sehr viel grobmaschiger - und Erwartungen und Forderungen von Seiten der Familien werden dadurch noch langer nicht geringer. Es mangelt an Kompensationsmöglichkeiten für die Verluste. Das beginnt bei einem staatlichen sozialen Sicherungssystem, das die traditionellen Funktionen des Familienbandes übernehmen könnte (wie es in Europa der fall ist) und endet bei der Verfügbarkeit von Freizeitbeschäftigungen: Es gibt keine Kinos (nur privat betriebene Fernsehräume in den Stadtteilen, wo das zu meist langweile Programm der lokalen Sender plärrt), keine Schwimmbäder (nur Hotels, die gegen hohe Preise das Schwimmen externer Gäste dulden - geduldet fühlten wir uns dort, wohl oder willkommen nicht wirklich), die Mitglieder von sog. Keep fit Clubs sieht man Sonntagmorgens buchstäblich begleitet von Pauken und Trompeten durch die Stadtteile joggen, an den meist vermüllten und stinkenden Stränden schießen Jungen mit runden Gegenständen auf Tore und Kinder treiben alte Reifen durch die Straßen - wi lange, wie oft macht das wohl wirklich Spaß?
Langeweile ist wahrscheinlich die optimale Voraussetzung, um sich in etwas hineinzusteigern (dem Menschen verlangt ja nach "Sinn", nach einer Aufgabe), wie z.B. Familien- oder Nachbarschaftsrivalitäten, in Missgunst, in religiösen Fanatismus oder in den Traum eine weiße, reiche Frau zu heiraten, in die Unterstützung einer politischen Partei und in das Ungerechtigkeitsempfinden nach einer Wahlniederlage - ganz abgesehen davon, dass so mancher Person wegen Arbeitslosigkeit und Armut keine andere Option mehr erscheinen kann als Bettlertum, Prostitution und Kriminalität.
Am Anfang war ich nachts aufgeschreckt, wenn ich die Sirenen der Polizeiwagen in der Ferne hörte und es beschlich mich ein beklemmendes Gefühl. So viel hört und liest man ja von der Kriminalität in Afrika. Ghana sei ja verhältnismäßig friedlich - aber diese Sirenen machten mich nervös.
Wir sahen in der Stadt lediglich hin und wieder Leute, die sich anschrien, selten kamen die Fäuste zum Einsatz - und dann eher gegen das Belch von Kleinbusse als gegen Personen.
Sirenen schien die Polisei mit Vorliebe einzusetzen, wenn Staatsgäste oder andere (vermeintlich) wichtige Persönlichkeiten mit viel Tamtam und Eskorte durch die Stadt gefahren wurden oder einfach nur die Dreharbeiten zu einem Musikvideo geschützt werden sollten.
Mittlerweile nehme ich die Sirenen kaum noch wahr und ich weiß nun, dass man sich am Abend (anders als in den meisten anderen afrikanischen Großstädten) bedenken-, wenn auch nicht gänzlich gedankenlos durch die Straßen Accras bewegen kann.
Noch, so denke ich, begegnen einem diese Stadt und ihre Menschen trotz des latenten Chaos, das jeder Situation innezuwohnen scheint, meistens freundlich.
Doch, es würde wohl niemanden sehr wundern, wenn das letzte bisschen Friedlichkeit in der Unübersichtlichkeit dieser Stadt verschwindet, wenn die Freundlichkeit der Menschen unter Blech und Schrott begraben wird.

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