Mittwoch, 22. Oktober 2008

System of a down

Ich stehe in der Bank, um einen Travelers Cheque zu tauschen. Mir wird diese Dienstleistung jedoch verweigert, weil ich keinen Reisepass bei mir habe. Das ist richtig, ich habe derzeit keinen Pass. Der Grund: Die Immigration Behörde hat ihn, weil ich meine Visumsverlängerung beantragt habe. Dafür behält die Behörde den Pass zwei Wochen. Ohne Pass kein Geld, sagt die Dame am Bankschalter. Sie lächelt freundlich, beinah mitleidig. Und ohne Visum? Ohne Geld? Sista, was soll ich tun? Madame, ich habe doch eine Fotokopie meines Passes. Könne sie die nicht akzeptieren? Und sie kenne mich doch aus den letzten Wochen. Ich solle warten, eine Stunde vergeht, dann tauscht sie den Cheque.
Ein anderes Mal zuvor, stürzt das gesamte Computersystem der Bank ab, als ich gerade am Schalter stehe, nichts geht mehr. Sorry, sitsta! Sagt sie. Niemand kann etwas dafür. Vorerst kann ich kein Geld bekommen. Also setzte ich mich bei kühlem Wasser aus Plastikbechern zu den anderen Wartenden. Ghana! sagt ein älterer Herr zu mir und zieht die Schultern bis an die Ohren. Ghana? denke ich und meine Gedanken schweifen zu Momenten der vergangenen Monate:
Wir kaufen Schokoladeneis in einem Supermarkt. Draußen stellen wir fest: es muss schon mal angeschmolzen gewesen sein. Salmonellengefahr! Also weg damit!
Der Strom fält aus, Ampeln an riesigen Kreuzungen funktionieren plötzlich nicht mehr, keine Polizei ist da, um den Verkehr zu regeln (die steckt vielleicht im Stau), Chaos, 20 Minuten bewegt sich absolut rein gar nichts mehr.
Bevor Kingsley sein kleines Hotel wird eröffnen können, wenn er den Innenausbau fertig gestellt haben wird, erzählt er uns, wird er das Gebäude erneut von außen streichen müssen. Bevor die letzten Dinge fertig sind, beginnen die ersten schon wieder zu rosten und zu schimmeln.
Warum klappt in diesem Land so einiges nicht einfach? Was macht den Menschen das alltägliche Leben hier so mühsam?
An der Göttingen Uni habe ich brav gelernt: Soziales muss durch Soziales erklärt werden.
An der Uni in Legon wird zur Erklärung sozialer Phänomene ein weiterer Aspekt hinzugezogen: Das Klima und die damit verbundene tropische Vegetation.
Und auch im "Paradigma der afrikanischen Krise" der Hamburger Politikprofessoren Tetzlaff und Jakobeit ist einer unter drei mal drei Faktoren die Komponente "Klima und die geographische Bedingungen".
Ja, diese Hitze! Sie macht müde, sie zermürbt. Oh, wie ich teilweise litt und innerlich fluchte, wenn ich zwischen zwei Trotrohaltestellen zum Umsteigen laufen musste in der prallen Mittagssonne: Nach wenigen Schritten rann Schweiß an meinem Köper hinab, die Haut begann zu brennen, fünf Minuten dehnten sich! Nicht nur Menschen schwächeln gelegentlich bei der Hitze. Auch Maschinen kollabieren bei hoher Temperaturbelastung, Drähte, Schienen und Asphalt dehnen sich und werden porös. Dass hier Krankheiten wie Malaria so verbreitet sind, liegt am Klima. Viele kranke und geschwächte Menschen sind eine Herausforderung für soziale, kulturelle und ökonomische Systeme. Wer einmal flach liegt in den Tropen, braucht viel länger als in Europa um wieder fit zu werden (selbst erlebt: um nach einer Mandelentzündung, Schnupfen und Dehydrierung brauchte ich mehr als eine Woche, um wieder auf die Beine zu kommen). Nicht nur Menschen werden leicht Opfer von Krankheitserregern. Sehr schnell befallen Schimmelpilze Fassaden, Gegenstände rosten in der feuchten Hitze rasant.
Es ist also nicht ganz einfach hier etwas aufzubauen und es ist sehr mühsam und aufwendig es in Stand zu halten. Das schlägt sich sicherlich in irgendeiner Weise in der sozialen Phänomenologie nieder.
Und so ist es vielleicht ein bisschen so, dass Afrika erst kein Glück hatte mit seinem Klima (teilweise natürlich nur, denn die Wärme kann für den Nahrungsmittelanbau beispielsweise, wenn genügend Wasser verfügbar ist, auch Vorteile haben) und dann auch noch das Pech des weltpolitischen Systems dazukam und die Bedingungen des Einen nicht so recht zu den Anforderungen des Anderen passen wollen.
Aber AfrikanerInnen sind nicht nur Opfer!
Europa exportiert zwar seinen Schrott hierher, das Weltwirtschaftssystem lässt afrikanischen Ökonomien kaum eine reale Chance und internationale Akteure beeinflussen massiv die innländische Politik afrikanischer Staaten.
Aber niemand zwingt die Einzelperson in unsinnigen Massen Plastiktüten zu verwenden, Müll einfach auf die Strasse und an den Strand zu kippen, korrupt zu sein oder Hass zu schüren - zumindest nicht direkt. Warum korrupte oder gewalttätige Regime auch von europäischen und/oder der US-amerikanischen Regierung geduldet oder gar gestützt werden, ist ein anderes Thema.
Ich habe in den vergangenen Monaten gelernt, dass ich aufhören muss, die Menschen in diesem Teil der Welt nur als Opfer zu verstehen und darzustellen. Damit ließe ich ihre eigens produzierte Scheiße, ihre Selbstbestimmung und ihr Reflexionsvermögen außer Acht.
Man kann es gut finden oder verurteilen: Die Welt wartet nicht auf von der Hitze oder anderen widrigen Umständen und historischen Erblasten geplagte Gesellschaften - jedenfalls nicht so lange, wie wir alle zulassen, dass das System bleibt wie es ist.
Europa und Afrika, die ganze Welt und damit wir als Einzelpersonen sind miteinander verbunden. Jede Handlung hat sichtbare Konsequenzen - vielleicht nicht immer vor der eigenen Haustür, aber auf den Strassen anderer Regionen der Welt! Das ist Globalisierung!
Passen die Regionen der Welt nur als gegensätzliche Pole zusammen?
Nun, da ich mich nach drei Monaten in Ghana heute Abend in ein Flugzeug zurück nach Deutschland setzen werde, habe ich eine Menge Bilder in meinem Kopf gespeichert. Und jedes ist mit einer neuen Frage verbunden:
Ist es Zufall, dass eine ghanaische Ölfirma und eine US-amerikanische Hilfsorganisation im selben Gebäude sitzen?
Wieso findet eine Bekannte, die in Ghana zum Thema Elektroschrott recherchiert, auf einem Platz, wo Leute (auch Kinder) mit bloßen Händen Computer zerlegen, einen Rechner mit der Kennzeichnung der US-amerikanischen Behörde für Entwicklungshilfe?
Warum behauptet eine deutsche sog. Entwicklungshelferin, sie kenne "fast alle Leute in Accra", weil sie mit etwa 2/3 der deutschen Entwicklungshilfeszene essen war?
Wurden für die strahlend weißen Papiertaschentücher eines ghanaischen Herstellers etwa Tropenhölzer verwendet?
Muss gewinnen eigentlich immer besiegen heißen?

Montag, 20. Oktober 2008

Mitten in Accra,

an einem der größten Knotenpunkte der Stadt, dem Kwame Nkrumah Circle (genannt: Circle, gesprochen etwa: Cärl) habe ich das Gefühl, als würden die Leute, die am Straßenrand Handys, alte Socken und Süßigkeiten verkaufen. mich mittlerweile kennen: Es greifen keine Hände mehr nach mir, es brüllt niemand hinter mir her. Vielleicht hat es sich herumgesprochen, dass ich hier ein paar Mal die Männer angemotzt habe, die mich am Oberarm packten.
Accra ist trotz seiner Größe und Unübersichtlichkeit doch irgendwie ein Dorf: Ständig begegnet man Leuten wieder, Dinge sprechen sich schnell herum. Obwohl alles permanent in Bewegung scheint, stehen doch immer die selben Leute an immer den selben Ecken, viele kommen nur selten aus ihren Vierteln heraus.
Und doch ist für viele aus den Villages Accra die große Freiheit.
Es drängt und zieht sie von Dörfern in die Metropole und so wächst Accra rasant und massiv: 1960 lebten hier etwa 338000 Menschen, 1980 waren es bereits an die 965000 und heute drängen sich 2,5 Mio. Menschen im Stadtgebiet (laut Ghana Statistical Service, Hochrechnung auf Grundlage der Volkszählung 2000). Die Stadt wächst nicht nur (unkontrolliert zu meist) an den Rändern, sondern wuchert auch in sich, erstickt an Abfällen und ist verstopft von Verkehr. Für knapp 2 Km vom Circle zum Makola Market braucht mein Trotro an einem Samstagnachmittag eine gute Stunde! Ich beobachte während des Stillstandes eine Gruppe aus fünf kleinen Jungen, die sich auf dem gepflasterten Streifen zwischen den Fahrspuren um das Wohlergehen eines Schafes kümmern, das einer von ihnen an einer Leine hält. Die Jungen rupfen vertrocknetes Gras, das um einen Strommast wächst, legen es dem Schaf vor die Schnauze und streicheln es sanft und ohne Unterlass. Dort, mitten auf der Straße, zwischen einer hupenden Blechflut und Abgasen wuseln sie um dieses erbärmlich hässliche Zottelvieh herum, das vermutlich auf eben diesem Mittelstreifen gezeugt und geboren wurde, geschlachtet und als Kebabspieß verkauft wird; Die Aktionsradien in dieser großen Stadt sind klein und die Beschäftigungsmöglichkeiten gering. Und doch gilt so vielen Accra als der Ort der Moderne, des Fortschritts und der beinah unbegrenzten Möglichkeiten. Und in irgendeiner, in dieser gewissen Weise, mit Blick auf die Lebensumstände in anderen Regionen des Landes, mögen sie Recht haben. Das Stadtleben entlastet von so manchen Unannehmlichkeiten. Immerhin haben 91% der Menschen in der Stadt Zugang zu Schulbildung, Strom und sauberen Wasser (64% sind es auf dem Land). Theoretisch steht eine Menge zur Verfügung - wenn man’s sich leisten kann, versteht sich - wie z.B. Nahrungsmittel, die nicht erst in mühevoller Arbeit selbst hergestellt werden müssen, sondern als Fertigprodukte im Supermarkt stehen. Mit all den Strapazen, denen die Menschen in der Stadt entgehen, schwinden aber auch ihre Aufgaben, mit den gewonnen Freiheiten von Familie und Tradition, wird das Netz der sozialen Unterstützung sehr viel grobmaschiger - und Erwartungen und Forderungen von Seiten der Familien werden dadurch noch langer nicht geringer. Es mangelt an Kompensationsmöglichkeiten für die Verluste. Das beginnt bei einem staatlichen sozialen Sicherungssystem, das die traditionellen Funktionen des Familienbandes übernehmen könnte (wie es in Europa der fall ist) und endet bei der Verfügbarkeit von Freizeitbeschäftigungen: Es gibt keine Kinos (nur privat betriebene Fernsehräume in den Stadtteilen, wo das zu meist langweile Programm der lokalen Sender plärrt), keine Schwimmbäder (nur Hotels, die gegen hohe Preise das Schwimmen externer Gäste dulden - geduldet fühlten wir uns dort, wohl oder willkommen nicht wirklich), die Mitglieder von sog. Keep fit Clubs sieht man Sonntagmorgens buchstäblich begleitet von Pauken und Trompeten durch die Stadtteile joggen, an den meist vermüllten und stinkenden Stränden schießen Jungen mit runden Gegenständen auf Tore und Kinder treiben alte Reifen durch die Straßen - wi lange, wie oft macht das wohl wirklich Spaß?
Langeweile ist wahrscheinlich die optimale Voraussetzung, um sich in etwas hineinzusteigern (dem Menschen verlangt ja nach "Sinn", nach einer Aufgabe), wie z.B. Familien- oder Nachbarschaftsrivalitäten, in Missgunst, in religiösen Fanatismus oder in den Traum eine weiße, reiche Frau zu heiraten, in die Unterstützung einer politischen Partei und in das Ungerechtigkeitsempfinden nach einer Wahlniederlage - ganz abgesehen davon, dass so mancher Person wegen Arbeitslosigkeit und Armut keine andere Option mehr erscheinen kann als Bettlertum, Prostitution und Kriminalität.
Am Anfang war ich nachts aufgeschreckt, wenn ich die Sirenen der Polizeiwagen in der Ferne hörte und es beschlich mich ein beklemmendes Gefühl. So viel hört und liest man ja von der Kriminalität in Afrika. Ghana sei ja verhältnismäßig friedlich - aber diese Sirenen machten mich nervös.
Wir sahen in der Stadt lediglich hin und wieder Leute, die sich anschrien, selten kamen die Fäuste zum Einsatz - und dann eher gegen das Belch von Kleinbusse als gegen Personen.
Sirenen schien die Polisei mit Vorliebe einzusetzen, wenn Staatsgäste oder andere (vermeintlich) wichtige Persönlichkeiten mit viel Tamtam und Eskorte durch die Stadt gefahren wurden oder einfach nur die Dreharbeiten zu einem Musikvideo geschützt werden sollten.
Mittlerweile nehme ich die Sirenen kaum noch wahr und ich weiß nun, dass man sich am Abend (anders als in den meisten anderen afrikanischen Großstädten) bedenken-, wenn auch nicht gänzlich gedankenlos durch die Straßen Accras bewegen kann.
Noch, so denke ich, begegnen einem diese Stadt und ihre Menschen trotz des latenten Chaos, das jeder Situation innezuwohnen scheint, meistens freundlich.
Doch, es würde wohl niemanden sehr wundern, wenn das letzte bisschen Friedlichkeit in der Unübersichtlichkeit dieser Stadt verschwindet, wenn die Freundlichkeit der Menschen unter Blech und Schrott begraben wird.

Samstag, 18. Oktober 2008

Stell dir vor,

du bist verliebt. Sehr verliebt. Alles fällt dir leicht, alles Glück schein möglich. Doch der Arbeitsmarkt deines Landes bietet keine vielversprechenden Perspektiven. Dein Geliebter findet keinen Job. Er hat alles versucht. Trotz abgeschlossener Berufsausbildung - keine Chance. Allein von Luft und Liebe könnt ihr nicht leben - so schön es wäre. Dein Gehalt als Frisörin reicht nicht, um euch beide und ein Kind, das ihr euch wünscht, zu versorgen. Also beschließt er nach Kanada zu gehen. Er will es dort versuchen. Und es klappt nach ein paar Monaten - zum Glück, denn die Ersparnisse sind beinah aufgebraucht - und er bekommt einen Job. Nach einem Jahr sieht alles wieder halbwegs gut aus: Der Job scheint sicher und das Gehalt ist akzeptabel für eure Ansprüche. Ihr entscheidet, die Sehnsucht ist natürlich groß, dass du zu ihm nach Kanada kommen sollst. Nur für ein paar Jahre - vielleicht werden die Umstände daheim bald besser, das hofft ihr. Doch das ist leichter gesagt, als getan: Du bekommst kein Visum von der Botschaft Kanadas. Du verstehst nicht, warum du kein Visum bekommst, niemand begründet es dir.
Dein Geliebter kommt zu Besuch zurück nach Hause: Die Wiedersehensfreude ist groß, ihr heiratet (das, sagte man euch, erhöht die Chancen ein Visum zu bekommen), dann muss er wieder fort. 30 Urlaubtage im Jahr sind nicht unendlich lang. Du gehst mit den Papieren wieder zur Botschaft: Kein Visum. Du versuchst es immer wieder, jahrelang, 1, 2, 3 Jahre! Du bezahlst jedes Mal die Gebühren - bekommst aber kein Visum und noch nicht einmal eine Erklärung.
Eins Tages hörst du von einer Freundin, dass ein Mann in deiner Nachbarschaft gewesen sei, der ein Bild von dir dabei gehabt hätte. Er hätte es den Leuten im Viertel gezeigt und sie über dich und deine Ehe ausgefragt. Viele der Leute kennen dich gar nicht richtig, fühlen sich aber unter Druck gesetzt etwas sagen zu müssen. Sie können sich City erinnern, wann sie deinen Ehemann das letzte Mal hier gesehen hätten.
Plötzlich steht dieser Mann vor deiner Wohnung und kommt herein ohne darauf zu warten, ob du ihn hereinbittest. Er sieht sich um, guckt sich gründlich die Bilder an den Wänden an, läuft bis in dein Schlafzimmer. Er sucht nach Zeichen deiner Ehe oder ob er etwas findet, das auf einen anderen Lebenspartner hinweist. Du sagst, das gehe ihn nicht s an, es sei deine Privatsphäre. Das interessiert ihn nicht. Wer er eigentlich sei. Er sei Mitarbeiter der kanadischen Botschaft.
Du gehst zur Botschaft. Du kannst nicht glauben, dass dies wahr ist. Doch dort sollst du diesmal sogar für die Fahrt dieses Mannes, der bei dir herumgeschnüffelt hat, zu deinem Haus bezahlen. Die Leute von der Botschaft sagen, sie hätten nun den Verdacht, dass es sich bei deiner Ehe um eine Scheinehe handele, denn der Mann hätte keine Anzeichen einer aktiven Ehe gefunden. Du bist entsetzt: Wie denn auch, wenn ihr seit Jahren in getrennten Staaten lebt...
Du wirst gefragt, warum er denn überhaupt zurückgekommen sei, um im Urlaub hier eine Frau zu heiraten, die er so selten sehe? Er hätte doch eine Frau in Kanada heiraten können, wo er seinen Lebensmittelpunkt habe.
Er hat dich geheiratet, weil er dich liebt, sagst du. Wir wollen doch zusammen leben.
Es interessiert sie nicht. Ablehnung. Keine Begründung. Kein Geld zurück.
Beim nächsten Antrag erzählt man dir von einem neuen Gesetz: Wer zu seinem Ehegatten, der in Kanada lebt, ziehen möchte , der müsse zunächst Französisch lernen.
Du gehst also in einen Sprachkurs, mehrere Stunden jeden Tag. Du musst viel lernen, um mithalten zu können. Zeit zum Arbeiten hast du nun nicht mehr. Du musst deinen Job kündigen. Das Geld wird knapp: Die Gebühren für den Sprachkurs, die stetig steigenden Lebenserhaltungskosten und die Visumsbearbeitungsgebühren fressen die Ersparnisse auf.
An dir nagen die Sorgen und die Sehnsucht.
Du hörst von anderen Frauen, denen es ganz ähnlich geht und davon, dass manche Ehen an dieser Situation schon zerbrochen sind. Das macht dir Angst: Wie oft könnt ihr Auseinandersetzungen, Eifersucht, Missverständnisse nicht richtig klären, weil ihr euch so selten seht, nur telefoniert.
Das tut alles so weh, alles ist so mühsam, die Leichtigkeit scheint dir oft gänzlich verloren zugehen.
Manchmal weinst du. Manchmal nicht. Manchmal kommt es dir nach der langen Zeit so vor, als hättest du vergessen, warum du manchmal weinst.
Kannst du dir vorstellen, wie sich das anfühlt? Wie es ist, wenn andere Menschen mehr als du selbst über dein Schicksal zu bestimmen scheinen…
Kannst du dir vorstellen, dass diese Geschichte wahr ist?
Der einzige Unterschied zwischen dieser Geschichte und der Realität: Der Ehemann der Frau, die mir dies erzählte, lebt nicht in Kanada, sondern in Deutschland, dem Land der Einigkeit, des Rechts und der Freiheit.

Mittwoch, 15. Oktober 2008

Von Angesicht zu Angesicht - was GhanaerInnen einer Deutschen sagen

Ich möchte euch, liebe LeserInnenschaft, an dieser Stelle an einigen Statements und Gesprächsauszügen teilhaben lassen, die für mich recht eindrücklich waren - ich lasse sie weitestgehend unkommentiert. Das eine oder andere war Anlass zu amüsanten bis hitzigen Diskussionen. Und ich hoffe, das wird sich in bei euch und uns zu Hause fortsetzen.

"Afrika ist wie ein Altenheim: Alte Autos, Computer und Kühlschränke, die ihr in Europa nicht mehr wollt, werden hierher importiert um zu sterben."

"Sorry! Sorry! Sorry! Das ist alles, was du von der deutschen Botschaft kriegst - du kriegst kein Visum, keine Begründung, nicht dein Geld zurück, das du schon bezahlt hattest!"

Ein kleines Mädchen neben mir an einer Trotrohaltestelle, müde und verträumt, mit Blick auf den Feierabendstau: "Es gibt so viele Autos. Aber keines für uns."

"Du kannst die besten Maschinen herbringen aus Europa. Sie werden dir in der Hitze der Tropen nichts nützen, wenn du feststellst, dass sie gemacht sind, um im Schnee zu arbeiten. So kann es auch mit politischen Lösungen sein."

"Es geht mir nicht darum, dass jede Person ein Visum für Deutschland bekommen soll. Was mich wütend macht ist, wie die Leute in der Botschaft behandelt werden. Warum lächeln sie dich da noch nicht einmal an, wenn du sie anlächelst – nachdem du Stunden in der Schlange in er Hitze gestanden hast!?"

"Wenn ich in Deutschland bin, fühle ich mich ganz anders als hier. Hier bin ich entspannt. In Deutschland bin ich immer angespannt, immer abwehrbereit. Ich weiß genau, da wird immer ein blöder Spruch kommen von irgendeinem beamten am Flughafen oder von jemanden auf der Strasse."

"Wenn ich Präsident Ghanas wäre, würde ich es genauso schwierig für euch machen nach Afrika zu kommen, wie es für uns ist nach Europa zu kommen. Ihr sollt genauso leiden, den Schmerz fühlen. Vielleicht versteht ihr es dann, wie ungerecht das ist."
- "Glaubst du, dass würde irgendetwas besser machen? Ich glaube, dann würden viele Leute aus Europa einfach sagen: 'OK. Dann gehe ich nicht nach Afrika!' Die Gründe von Europa nach Afrika zu gehen oder andersherum sind doch unterschiedlich - oder nicht?"
"Ja, aber ihr versteht unsere Gründe nicht."

"Das ist der neue Präsidentenpalast. Er wird gebaut von indischem Geld. Ist das nicht peinlich: Manche Leute haben hier kein Wasser, aber so ein Ding wir gebaut. Ist dem das nicht peinlich au der einen Seite für seine Leute betteln zu gehen und auf der anderen Seite in so einem Palast zu wohnen? Und ihr in Deutschland? Wie lange wollt ihr noch mit ansehen, dass diese Entwicklungshilfe nicht effektiv ist?"

"Wenn der Präsident von Ghana entscheiden würde, dass keine Weißen in den Ferien nach Ghana reisen dürfen, dann würde er sofort abgewählt. Ganz sicher. Und das wäre richtig. Sind die Leute nicht freundlich hier zu dir? Hattest du Schwierigkeiten ein Visum für Ghana zu beantragen? Hat dich jemand gefragt, ob du Twi oder Englisch verstehst? Bitte erkläre mir, warum ihr Deutschen nicht wollt, dass ich bei meinem Ehemann in Deutschland lebe!"

"Deutschland ist bereits entwickelt. Ihr braucht die Migranten nicht so sehr, wie wir sie brauchen!"

"Wenn du reich bist, bist du mobil. Wenn du arm bist, migrierst du."

"Sei ehrlich! Wärest du nach Afrika gekommen, wenn du wüsstest, dass du vielleicht nicht wieder zurück könntest?"
- "Nein."
"Siehst du, davor habe ich Angst. Für die ist es leicht nach Afrika zu kommen und wieder nach Europa zu gehen."
-"Lass mich einen bösen Scherz machen: Es ist für dich als Afrikaner nicht schwer nach Afrika zurück zu kommen. Verbrenne dein Visum, remple einen Polizisten an und schneller als du dir vorstellen kannst, bringen sie dich zum Flughafen. Sie zahlen sogar für deinen Rückflug."
Lachen.
"Du meinst, sie schieben mich ab?"
- "Ja."
"Ich spreche aber nicht davon physisch zurück zu kehren. Ich habe Angst nach Europa zu gehen, weil dann vielleicht mein Denken nicht mehr nach Afrika passen würde."

Freitag, 10. Oktober 2008

Dzorwulu sei nicht betroffen,

wenn in manchen Stadtteilen Accras für einige Tage das Wasser abgestellt würde, hatte in der Zeitung gestanden.
"Naja“, meinte Pius, "man kann ja nie wissen." und füllt zur Vorsorge eine große Tonne mit Wasser und stellt sie in den Garten. Das Wasser aus den Leitungen in Dzorwulu sprudelt wie versprochen weiter.
Nach zwei Wochen beschließt Pius die gesammelten Wasserreserven zum Blumengießen zu verwenden - da gluckert nur noch Luft in den Wasserhähnen im Haus. This is Africa!
Pius und Heidi haben im Garten mehrere große Wassertanks, in denen Regenwasser gesammelt wird. Ab und zu kommt ein dünner, schwacher Strahl aus dem Wasserhahn und dann halten wir schnell einen Behälter darunter, um ein bisschen des kostbaren Nass als Reserve zu sammeln, damit wir in entsprechenden Momenten auf jeden Fall etwas Wasser zum Händewaschen haben oder die Toilette spülen können. Die Behälter müssen unbedingt bedeckt sein - sonst eröffnen wir unfreiwillig ganz schnell eine Moskitofarm im Bad. This is Africa!
Doch der Wassermangel scheint noch kein Ausmaß zu erreichen, der die Leute beunruhigen würde: Der Mensch, der einige Male in der Woche emsig jeden Weg und Vorsprung, jede Fliese und Stufe um Pius und Heidis Haus herum fegt, jedes welke Blatt aus Bäumen und Büschen zupft und Beete umgräbt, gießt am Morgen großzügig die vielen Gewächse auf dem Hof.
In Kenia erlebte ich, dass eine ganze Dorfgemeinschaft aus einem \Brunnen ihr Wasser schöpfte. Der Blick in diesen Brunnen zeigte einen sehr niedrigen Wasserstand, so dass alle zur Sparsamkeit aufgerufen waren. Sobald nachts ein paar Regentropfen auf die Blechdächer trommelten, sprangen alle auf, um Eimer, Schüsseln und Tonnen nach draußen zu tragen und darin das Regenwasser aufzufangen. Und dennoch fand sich beinah jeden Tag jemand, der mit viel Wasser aus dem Brunnen das Auto des Pfarrers putzte. This is Africa!
Etwa 50 m von dem Haus, in dem wir hier in Dzorwulu wohnen, gibt es eine kleine Schneiderei. An einem Dienstagmorgen gehe ich hin und bitte den Schneider meine Leinenhose enger zu amchen. Er misst meinen Taillen-, Hüft- sowie Oberschenkelumfang und kommt zu dem Schluss: Die Hose sei nicht zu weit. "Doch“, erwidere ich, "ich verliere sie beim Laufen." Das sei natürlich nicht gut. Er werde also sehen, was sich machen lasse. Morgen Nachmittag könne ich die Hose anholen. Ich bin in den nächsten Tagen viel unterwegs und gehe daher erst drei Tage später, am Freitag hin. Der Mann lächelt und kramt meine Hose aus einem Stapel Stoff, legt sie auf den Tisch und guckt skeptisch. Ich gucke ebenfalls skeptisch und frage ihn, was er denn damit nun gemacht hätte. Er lächelt: Nichts. Ich soll mich hinsetzen und warten. Nein, sage ich freundlich und meine, ich würde in einer Stunde wiederkommen (das sage ich, nachdem ich gesehen habe, dass er einen Faden in die Nähmaschine eingefädelt und meine Hose darunter gelegt hat!). "Nein, nein!" Sagt er kichernd: "Gib mir nur zwei Minuten!" Nach einer hat er dann meine Hose an zwei Stellen umgenäht - mehr nach Augenmass, als nach den Messungen von vor drei Tagen (ob das was wird, denke ich) - und in der zweiten Minute bügelt er die Hose. Ich frage: "How much is it?"
Bei vielen Menschen in Afrika gelten Weiße pauschal als unendlich reich und so ist es nicht außergewöhnlich einen "Weißenaufschlag" bei allem möglichen zu bezahlen - im gewissen Rahmen, finde ich das in Ordnung. Dennoch räuspere ich mich und bereite meine gespitzten Lippen auf ein schrilles "What?!" vor, das ich anstoßen werde, nachdem der Schneider mit den Preis genannt haben wird, um das Verhandeln einzuleiten. Der Schneider legt die Hose zusammen. "It's ok!" sagt er und drückt mir die Hose in die Hand. "Just two minutes!" Ich bin überrascht und gucke ihn wohl etwas irritiert an. Dann bedanke ich mich.
Zu hause probiere ich die Hose an: Sie sitzt perfekt!
There is always coming something new out of Africa! - Heißt der Slogan des "African music mix" des Radiosenders, den wir hören. Ja, dem möchte ich zustimmen.
Die kleinen und größeren Widrigkeiten und Absurditäten des Alltags...
Afrika, das kann einem schon vorkommen, wie eine Ansammlung von Widersprüchen:
Trotz der weltweit meisten Entwicklungshilfe, leben auf dem Kontinent die meisten Armen.
Obwohl Afrika reich ist an edlen Rohstoffen, sind seine Staaten hoch verschuldet und spielen beinah keine Rolle auf dem Weltmarkt (sein Anteil beträgt etwa 2 Prozent, 14 Prozent der Weltbevölkerung leben jedoch hier).
1850 Kcal sind durchschnittlich nötig, um eine Person ausreichend zu ernähren. 2400 Kcal pro Person sind prinzipiell verfügbar in Afrika (laut Food ans Africultural Organisation, 2003). Und dennoch sind 30 Prozent der Kinder unter 5 Jahren südlich der Sahara untergewichtig.
Viele Afrikanerinnen und Afrikaner wollen bei ihren Familien leben, arbeiten in der Region, in der sie aufgewachsen sind. Und doch verlassen Millionen die Region, in der sie leben wollen, die Staaten, deren Angehörige sie sind, diesen Kontinent. Und das nicht ausschließlich aus purer Reiselust: 17 Millionen AfrikanerInnen sind nach offiziellen Angaben auf der Flucht.
Sie gehen, weil sie dort, wo sie gern blieben, keine angemessenen Jobs, keine Perspektive finden, weil kriegerische Auseinandersetzungen und Verfolgungen ihr Leben bedrohen. Und wenn so viele gehen, leiden die Gesellschaften, die sie verlassen darunter: Es fehlen ihnen ausreichend kreative, motivierte, (hoch) qualifizierte Menschen.
57 Prozent der Menschen, die auf dem afrikanischen Kontinent leben, antworten auf die Frage, ob das nächste Jahr besser werde, als das letzte mit "JA!". So viele wie sonst nirgends auf der Welt.
This is Africa!

Montag, 6. Oktober 2008

"Alles kein Problem- der Terminator wartet auf euch."

meint Kingsley am Handy zu Ramona.
"Wer?" fragt Ramona ungläubig "Der Terminator?"
"Ja, das ist ein Freund von mir. Er weiß, dass ihr kommt und lässt euch rein. Wo seid ihr denn jetzt?"
Das wissen wir auch nicht so genau: Aus dem Trotro Richtung Krokobite wurden wir, obwohl wir bis zur Endstation bezahlt hatten, zu unserer Verwunderung schon an der Hauptstraße rausgeschmissen. Ein hilfsbereiter junger Mann ging dann mit uns eine Abzweigung von der Hauptstraße hinunter und meinte, wenn wir nach Krokobite wollten, sollten wir hier in ein Taxi steigen. Er sitzt neben Ramona im Wagen und sie gibt ihm unser Handy mit der Bitte, Kingsley zu erklären, wo wir sind. Die nächsten Minuten findet eine angeregte Dreierdiskussion auf Twi zwischen dem Taxifahrer, dem jungen Mann mit unserem Handy und Kingsley statt, der uns für Sonntag Mittag zum Grillen in sein "kleines Strandhäuschen" eingeladen hatte, nun aber, statt uns dort zu erwarten, mit seiner Familie ein paar Leute vom Flughafen abholen muss.
"Ok, ok" sagt der junge Mann, gibt mir das Handy zurück- und steigt aus. Uns bleibt nur zu hoffen, dass er dem Fahrer erklärt hat, wo wir hin wollen.
Die Fahrt geht weiter durch eine Besiedlung an der Atlantikküste und schließlich stehen wir vor einem fast fertig gestelltem Gebäude mit einladenden Strohschirmen auf der Dachterrasse. Es scheint uns eher eine kleine Hotelanlage im Bau als Kingsleys "Wochenendhütte" zu sein, von der er uns erzählt hat. Der Fahrer schlägt vor, Kingsley noch mal anzurufen. In dem kurzem Gespräch zwischen Taxifahrer und Kingsley scheint sich herauszustellen, dass wir doch richtig sind. Der Fahrer gibt uns das Telefon, steigt aus und beginnt rufend an der Eingangstür zu rütteln. Kingsley sagt zu Ramona: "Schön, dass ihr da seid!"
"Ja, wäre auch schön, wenn Du auch hier wärst." quiekt sie vor Lachen ob der latent absurden Situation ins Handy.
"Wenn alles gut läuft, bin ich in einer dreiviertel Stunde da. Terminator ist bestimmt noch in der Kirche. Aber wenn er kommt, lässt er euch auf die Terrasse. Genießt die Aussicht. Bis später!"
Tatsächlich kommt ein paar Minuten später ein Mann mit Frau und Kind und stellt sich uns ganz trocken als Terminator vor. Der Taxifahrer, uns nun in guten Händen wissend, zieht von dannen.
Auf der Dachterrasse sitzend wundern wir uns noch einen kurzen Moment darüber, dass uns der Trotro-Mate- wie auch immer er das wissen konnte- an der richtigen Stelle hat aussteigen lassen und warum wohl jemand Terminator genannt wird. Aber dann genießen wir die Aussicht auf den sauberen (!!!) weißen Sandstrand, lauschen dem Wellenrauschen und beobachten eine Rinderherde, die durch Kingsleys Vorgarten zieht und eine Trinkpause an seinem Fischteich macht und die Kingsley später zusammen mit seinem 9-jährigen Sohn per Steine werfen und Rinderhirten anmotzen vertreibt.
So ist dann auch der Weg zum Strand frei und wir stürzen uns in den kühlen Wellengang des Atlantiks. Kaum bewegt sich Christian drei Meter von Ramona weg, wird sie mal wieder sofort von zwei Typen angequatscht, die mit Bier in der Hand auf einer Piroge sitzen. Nachdem Ramona erwähnt, sie würde hier nur auf ihren "husband" warten, der noch eine Runde schwimmt entwickelt sich ein recht interessantes Gespräch über ghanaische und US-amerikanische Politik. Sich als Ehepaar darzustellen hat sich in den letzten zwei Monaten als Abschreckungsmassnahme bewährt. Es schadet ja auch nicht, meinen wir, das schon mal zu üben und sich daran zu gewöhnen.
Später am Abend gibt es noch Reis mit leckerer Gemüse-Fischsoße und ghanaisches Bier auf der Dachterrasse.
So klingt ein gelungener, alles in allem doch sehr entspannter, letzter Abend an der westafrikanischen Küste aus. Bei aller Vorfreude auf Kaffee, rohes und ungeschältes Gemüse, nichtsüsse und vegane Brotaufstriche und herbstliche Temperaturen, die Christian ab morgen früh wieder genießen wird, werden wir da doch etwas sentimental und romantisch.



DOCH nur weil Christian heute abend in den Flieger richtung Europa steigt, heisst das nicht, dass auf diesem Blog nichts mehr berichtet wird. Schliesslich liegen noch 2,5 Wochen vor Ramona, in denen sie das Geschehen in Ghana weiterhin beobachten und beschreiben wird. Und es verspricht spannend zu werden- die Praesidentschaftswahlen ruecken naeher!

Vorerst die letzten Bilder

Mitten in Accra- permanente Zeichen des globalen Handels


Wie lange halten wohl unsere Reserven, wenn das Weltwirtschaftssystem jetzt zusammenbricht?
Warten auf Kingsley (siehe Artikel "Terminator")

Kingsleys Vorgarten mit Fischteisch mit unangemeldeten Besuchern

Samstag, 4. Oktober 2008

The Street

Built to please the eye and sub-serve the foot
our streets are no longer beauty's domain.
With dust untamed by asphalt, grass or tar
without pavement, foot-path, embankment
Portholes filled and re-filled with loose red earth,
our streets were open and foetid trash cans.

Man traps, roads unworthy of vehicles.
Shops spill their plastic contents
like dismen bered pregnant uteri -
Blood, foeral parts, liquor and all.

The street is an extension of homes.
It is market, battlefield, play-pen, too.
It is the living, dining and guest room.
The street is unforgiving, and, for some
It is bridal suite and the final berth.

Accra, 22 March, 1997
Lade Wosornu
Journey without end and other poems

...einbisschen ghanaische Lyrik...

Freitag, 3. Oktober 2008

Kopieren unter'm Sonnenschirm

Der freundliche Herr hinter der Glasscheibe bittet mich, eine Kopie meines Rueckflugtickets zu machen, damit er diese dann hinter meinen Antrag auf Visumsverlaengerung heften kann. Klar, mache ich. "Koennen Sie mir sagen, wo?". Am Tor ginge das, meint er. Ich soll hingehen und dann mit der Kopie wiederkommen. Ansonsten seien die Unterlagen vollstaendig und in Ordnung. Wir gehen also zum Eingangstor der Einwanderungsbehoerde. Dort frage ich eine Frau in Uniform nach dem Kopierer. Sie deutet auf das Tor: "outside! On the left." Ich drehe mich zu Christian und frage "Wieso draussen?"- "Na da steht bestimmt gleich ein einfach an der Strasse ein Sonnenschirm mit 'nem Kopierer drunter." Tatsaechlich. Oder fast zumindestens: am Strassenrand links neben dem Eingangstor steht eine winzige Bretterbude in der gerade so zwei Leute auf ihren Hockern und ein Kopierer Platz haben. Es haette mich nicht wundern sollen. Schliesslich habe ich 15 Minuten zuvor auch Passfotos fuer das Visum hinter der Mauer auf der gegenueberliegenden Strassenseite machen lassen. Wir hatten im Stadtteil Osu, wo wir am Morgen Geld in der bak gewechselt hatten, eine Moeglichkeit gesucht, Passbilder machen zu lassen aber keine gefunden. Logisch denn wozu Passbilder in Osu machen wo sie dort fuer nichts zu gebrauchen sind. Direkt vor der Einwanderungsbehoerde, da, wo Leute Passbilder brauchen, da stehen zwei Maenner mit ihren Polaroidkameras und machen Bilder. Fuer den Alltag ist immer alles genau da, wo es gebraucht wird. So sitzen um Behoerdengebaeude herum Leute mit Schreibmaschinen, die offizielle Briefe tippen und wo Menschen unterwegs sind, auf den Strassen und in den Trotro-Stationen, wird verkauft, was auf Reisen gebraucht wird: Bananenchips, geschnittene Fruechte, Nuesse, Kekse und Getraenke fuer's Proviant sowie Schweisstuecher (sehr praktisch - Anmerkung der Redaktion), Plastikspielzeug, Nagelscheren, Pappnasen, Gelenksalbe und Anti-Bandwurm-Tabletten. Man weiss ja nie!
"Werden die Leute das eigentlich los? Ich kann es mir kaum vorstellen aber es muss sich ja schon lohnen- sonst wuerden sie es nicht machen, oder?" frage ich Kingsley als ich neben ihm in seinem Auto sitze und wir (typisch fuer Accra) mal wieder im Stau stehen. "Vieles nicht! Die meisten Sachen braucht doch kein Mensch" meint er. "Was glaubst Du, wie viel sie verdienen? Wovon leben sie dann?" frage ich weiter. "Ich schaetze, wenn es gut laeuft, verdienen sie genug fuer eine Mahlzeit am Tag. Das ist mehr als nichts. Eine andere Wahl haben sie nicht. Es gibt ja sonst keine Moeglichkeit fuer sie, Geld zu verdienen. Und was sagt letztlich unser Praesident Kufuor? 'Wer nicht arbeitet und nicht genug Geld verdient, der ist faul.'"- "Das hat Kufuor gesagt? Das ist doch wie ein Schlag ins Gesicht fuer diese Leute!" werfe ich ein. "Ja sicher. Das sagt der Praesident, der es nicht schafft, genug Arbeitsplaetze zu schaffen. Diese Leute stehen lieber 8 Stunden in der Sonne und schlucken Abgase und Staub als zu betteln und er sagt, sie waeren faul. Das ist unglaublich!"- "Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich die Leute Faulheit leisten koennen. Es gibt doch kein sogenanntes soziales Netz, in das sie sich fallen lassen koennten. Wenn sie faul rumsitzen wuerden, wuerden sie einfach verhungern." Kingsley zuckt mit den Achseln. "Tja aber da unser eigener Praesident meint, sie seien zu faul."
Wir sehen uns um: Ueberall stehen und gehen von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang Leute, die Dienstleistungen und Waren anbieten. Noetige und auch unnoetige zwar, aber sie klopfen unablaessig den Staub von ihren Waren, schichten kunstvoll alle moeglichen Gegenstaende zu Tuermen, Pyramiden und sonstigen Formationen auf, versuchen charmant bis energisch von ihren Angeboten zu ueberzeugen und sprinten mit Schuesseln auf dem Kopf und einem Kind auf dem Ruecken hinter Fahrzeugen her, wenn sich der Stau doch ploetzlich aufloest, um das Wechselgeld durchs Autofenster rein zu reichen.
Die Arbeitslosenquote ist in Ghana (30%) um ein vielfaches hoeher als in Deutschland- und trotzdem haben wir noch nie jemanden von sich sagen gehoert, er oder sie sei arbeitslos. Die Leute schaffen sich ihre Jobs und erfinden Aufgaben- und das wird akzeptiert und bezahlt. Sie nennen sich "student" oder PrivatlehrerIn, predigen auf oeffentlichen Plaetzen oder in Fahrzeugen, weisen Taxis ein, wechseln Geldscheine in Muenzen, helfen orientierungslosen Touris, nennen sich "Profifussballer" und werben KundInnen fuer Restaurants, Hotels und Shops von Familienmitgliedern. Wir lesen, dass Betteln unter den Akan (grosser Teil der BewohnerInnen in Ghanas Sueden) verpoent sei und vermuten, dass es sich mit Arbeitslosigkeit entsprechend verhaelt. Doch sozialmoralische Norm hin oder her wird es auch einen ganz pragmatischen Grund fuer den Einfallsreichtum der Leute hier geben: sie haben keine andere Wahl.

Donnerstag, 2. Oktober 2008

Was auf's Auge!

Cape Coast Castle, Innenhof (in der Mitte die "Door of no return")



Kunstvoll gespanntes Moskitonetz ueber zu kurzem Bett in muffigen Hotelzimmer mit nichtmuffigen darunterliegenden Personen (luftgetrocknet)
Canopy-Walk im Kakum-Nationalpark (weiter hinten wird es noch exponierter)
Noch mal Cape-Coast-Castle
Strand in Cape Coast
Cape Coast Castle (leicht unterbelichtet, aber das wird dank Photoshop schon wieder) Innenstadt Cape Coast
ein ganz normales Wohnviertel um das Hostel (nein liebe Leute, das ist kein Slum!!!)
Netze einholen
Accras Innenstadt
Markt in Accra, dahinter eine Trotro-Station (nein liebe Leute, immer noch kein Slum!!!) Deutschunterricht am GI Accras Kueste
Manche Schilder laden geradezu dazu ein, das Gegenteil zu tun... (Aburi, Botanischer Garten)
Junger Posaunist auf dem Konzert des Jazzmusikers Kofi Ghanaba
Kofi Ghanaba, Jazzlegende und uraltVor der Unibibliothek

Mittwoch, 1. Oktober 2008

"The bible says" und "God bless you!"

Mehr verstehen wir nicht von dern im wesentlichen (vermutlich) auf Twi gehaltenen Predigt im Trotro. Muss ja vielleicht auch nicht, die key-information haben wir ja mitbekommen und so wissen wir, dass wir, sollten wir den Ueberholmanoevern des Fahrers zum Opfer fallen, immerhin noch gesegnet sind. Der Prediger steigt nach Segen und erhaltenem finanziellem Dank wieder aus, Bob Marley "stand up for your rights" dudelt, der Fahrer versprueht noch etwas Vanillieduft und los geht es ueber den Highway entlang der Kueste nach Cape Coast. Bisschen Raumspray wuerde unser muffiges Hotelzimmer dort auch vertragen. Naja, dfuer haben wir diesmal (anders als die erste Nacht in Kumasi) fliessend Wasser. Auf der anderen Seite wird dasd Duschvergnuegen dadurch leicht gemindert, dass wir keine Handtuecher haben. Aber auch das betrachten wir nur als weitere Herausforderung an unser Improvisationsvermoegen. Alles also kein Problem und wenn wir den Stuhl guenstig ans Bett schieben, kann selbst Christian in dem 180 kurzem Bett liegen ohne an das gekonnt zwischen 2 Haken aufgespannte Moskitonetz anzustossen (siehe Foto).
Das "Guesthouse" bietet uns alles in allem, druecken wir ein Auge zu und besorgen wir uns noch eine Rolle Toilettenpapier, eine akzeptable Bleibe fuer zwei Naechte. Wir wollen ohnehin nicht viel mehr als die Naechte im Hotelzimmer verbringen sondern das Staedtchen uns seine Geschichte erkunden. Dafuer machen wir auf unserem Stadtrundgang zuerst Halt im "Cape Coast Castle". Diese Burg wurde vor knapp 380 Jahren von Briten errichtet. Die Stadt selbst, deren urspruenglicher Name Oguaa ist, ist sehr viel aelter und schon vor mehr als 400 Jahren waren hier die Portugiesen gelandet. Die sehr gut gemachte Ausstellung und Burgfuehrung berichtet jedoch inerster Linie von den englischen Aktivitaeten in Cape Coast: dem Sklavenhandel. Hier wurden im Binnenland verschleppte Menschen gesammelt, begutachtet und auf Schiffe in die Karibik, nach Amerika und nach Europa verladen.
Wir folgen dem Tourguide durch das Halbdunkel der Gewoelbe unter der Burg, die Waende sich feucht, die Luft stickig-drueckend, es riecht modrig. "Hier" erzaehlt er "waren bis zu 2000 Menschen drein Monate auf engstem Raum zusammengepfercht- ohne Licht, ohne Kleidung, in Ketten, stehend in den eigenen Exkrementen. Sie wurden mit gleuhenden Eisen markiert und schliesslich, ueberlebten sie die Lagerung, durch einen schmalen Gang zur 'Tuer ohne Wiederkehr' getrieben.". Mit uns nimmt der Guide den Weg ueber den Innenhof der Burg zum "Door of no return". Wir bleiben stehen vor einer Holztuer in der Burgmauer. Durch die "Door of no return" verliessen die Gefangenen ihre Heimat und kehrten nie wieder zurueck in ihr Land und zu ihren Familien. Entweder blieben sie ihr Leben lang Sklaven in der "neuen Welt" oder starben auf den Schiffen, die hinter dieser Tuer auf ihre Fracht warteten. In fast drei Jahrhunderten wurden schaetzungsweise 60 Mio. Menschen Opfer der Sklaverei- etwa 12 Mio. von ihnen erreichten ihren Bestimmungsort lebend.
"Wir werden heute durch diese Tuer zurueckkehren" sagt der Guide und stoesst die hohe Fluegeltuer auf. Nach der Unabhaengikeits Ghanas 1957 hob man in einer feierlichen Zeremonie die Bestimmung der "Door of no return" auf indem die sterblichen Ueberreste zweier Sklaven aus Suedamerika zurueck nach Ghana gebracht, sie durch die "Tuer der Rueckkehr" in die Burg getragen und da die traditionellen Besattungsrituale fuer sie zelebriert wurden.
Es folgt noch die Besichtigung der Arrestzelle, in der Aufstaendige ohne Licht und Belueftung stehend auf ihren Hungertod warteten und der Wohnraeume des Kommandanten, in denen zahlreiche Fenster kuehlenden Meereswind und Seeblick boten.
Interessante Ergaenzungen zu dem in Cape Coast ueber Sklaverei gelerntem bot die Ausstellung im Nationalmuseum in Accra, die wir schon vor einigen Wochen besucht haben. Sie beleuchtet unter anderem wie die Sklaven in die Burgen Cape Coast Castle, Christiansbourg in Accra oder Elmina Castle kamen, von wo aus sie dann verkauft wurden. Fuer Europaer des 16, 17., 18 und fruehen 19. Jahrhunderts war Ghana kein entspanntes Reiseland. Malaria forderte hunderte Todesopfer unter den Weissen und so taten diese gut daran, sich so wenig wie moeglich von der Kueste weg ins Landesinnere zu bewegen. Also wurden sowohl das Gold als auch die Sklaven von einheimischen Zwischenhaendlern gekauft. Dies konnten Sklavenjaeger sein, die Menschen aus ihren Doerfern entfuehrten, meist waren es jedoch einfach Chiefs, die die Kriegsgefangenen aus Streitigkeiten mit den Nachbarn als Sklaven verkauften. Schnell wurde Sklavenjagd zum Grund fuer kriegerische Konflikte. Dieses "Geschaeftspotential" erkannten die britischen, daenischen und hollaendischen Burgkommandanten und sie optimierten das System, indem sie zum Tausch gegen angebotene Sklaven Feuerwaffen bezahlten, um die naechste Sklavenjagd der einheimischen Chiefs noch ertragreicher zu machen.
Lokale Konflikte in Afrika mit europaeischen Waffenlieferungen anzuheizen und dann davon zu profitieren: schon seit dem 18. Jahrundert ein erfolgreiches Geschaeftsmodell.