Freitag, 10. Oktober 2008

Dzorwulu sei nicht betroffen,

wenn in manchen Stadtteilen Accras für einige Tage das Wasser abgestellt würde, hatte in der Zeitung gestanden.
"Naja“, meinte Pius, "man kann ja nie wissen." und füllt zur Vorsorge eine große Tonne mit Wasser und stellt sie in den Garten. Das Wasser aus den Leitungen in Dzorwulu sprudelt wie versprochen weiter.
Nach zwei Wochen beschließt Pius die gesammelten Wasserreserven zum Blumengießen zu verwenden - da gluckert nur noch Luft in den Wasserhähnen im Haus. This is Africa!
Pius und Heidi haben im Garten mehrere große Wassertanks, in denen Regenwasser gesammelt wird. Ab und zu kommt ein dünner, schwacher Strahl aus dem Wasserhahn und dann halten wir schnell einen Behälter darunter, um ein bisschen des kostbaren Nass als Reserve zu sammeln, damit wir in entsprechenden Momenten auf jeden Fall etwas Wasser zum Händewaschen haben oder die Toilette spülen können. Die Behälter müssen unbedingt bedeckt sein - sonst eröffnen wir unfreiwillig ganz schnell eine Moskitofarm im Bad. This is Africa!
Doch der Wassermangel scheint noch kein Ausmaß zu erreichen, der die Leute beunruhigen würde: Der Mensch, der einige Male in der Woche emsig jeden Weg und Vorsprung, jede Fliese und Stufe um Pius und Heidis Haus herum fegt, jedes welke Blatt aus Bäumen und Büschen zupft und Beete umgräbt, gießt am Morgen großzügig die vielen Gewächse auf dem Hof.
In Kenia erlebte ich, dass eine ganze Dorfgemeinschaft aus einem \Brunnen ihr Wasser schöpfte. Der Blick in diesen Brunnen zeigte einen sehr niedrigen Wasserstand, so dass alle zur Sparsamkeit aufgerufen waren. Sobald nachts ein paar Regentropfen auf die Blechdächer trommelten, sprangen alle auf, um Eimer, Schüsseln und Tonnen nach draußen zu tragen und darin das Regenwasser aufzufangen. Und dennoch fand sich beinah jeden Tag jemand, der mit viel Wasser aus dem Brunnen das Auto des Pfarrers putzte. This is Africa!
Etwa 50 m von dem Haus, in dem wir hier in Dzorwulu wohnen, gibt es eine kleine Schneiderei. An einem Dienstagmorgen gehe ich hin und bitte den Schneider meine Leinenhose enger zu amchen. Er misst meinen Taillen-, Hüft- sowie Oberschenkelumfang und kommt zu dem Schluss: Die Hose sei nicht zu weit. "Doch“, erwidere ich, "ich verliere sie beim Laufen." Das sei natürlich nicht gut. Er werde also sehen, was sich machen lasse. Morgen Nachmittag könne ich die Hose anholen. Ich bin in den nächsten Tagen viel unterwegs und gehe daher erst drei Tage später, am Freitag hin. Der Mann lächelt und kramt meine Hose aus einem Stapel Stoff, legt sie auf den Tisch und guckt skeptisch. Ich gucke ebenfalls skeptisch und frage ihn, was er denn damit nun gemacht hätte. Er lächelt: Nichts. Ich soll mich hinsetzen und warten. Nein, sage ich freundlich und meine, ich würde in einer Stunde wiederkommen (das sage ich, nachdem ich gesehen habe, dass er einen Faden in die Nähmaschine eingefädelt und meine Hose darunter gelegt hat!). "Nein, nein!" Sagt er kichernd: "Gib mir nur zwei Minuten!" Nach einer hat er dann meine Hose an zwei Stellen umgenäht - mehr nach Augenmass, als nach den Messungen von vor drei Tagen (ob das was wird, denke ich) - und in der zweiten Minute bügelt er die Hose. Ich frage: "How much is it?"
Bei vielen Menschen in Afrika gelten Weiße pauschal als unendlich reich und so ist es nicht außergewöhnlich einen "Weißenaufschlag" bei allem möglichen zu bezahlen - im gewissen Rahmen, finde ich das in Ordnung. Dennoch räuspere ich mich und bereite meine gespitzten Lippen auf ein schrilles "What?!" vor, das ich anstoßen werde, nachdem der Schneider mit den Preis genannt haben wird, um das Verhandeln einzuleiten. Der Schneider legt die Hose zusammen. "It's ok!" sagt er und drückt mir die Hose in die Hand. "Just two minutes!" Ich bin überrascht und gucke ihn wohl etwas irritiert an. Dann bedanke ich mich.
Zu hause probiere ich die Hose an: Sie sitzt perfekt!
There is always coming something new out of Africa! - Heißt der Slogan des "African music mix" des Radiosenders, den wir hören. Ja, dem möchte ich zustimmen.
Die kleinen und größeren Widrigkeiten und Absurditäten des Alltags...
Afrika, das kann einem schon vorkommen, wie eine Ansammlung von Widersprüchen:
Trotz der weltweit meisten Entwicklungshilfe, leben auf dem Kontinent die meisten Armen.
Obwohl Afrika reich ist an edlen Rohstoffen, sind seine Staaten hoch verschuldet und spielen beinah keine Rolle auf dem Weltmarkt (sein Anteil beträgt etwa 2 Prozent, 14 Prozent der Weltbevölkerung leben jedoch hier).
1850 Kcal sind durchschnittlich nötig, um eine Person ausreichend zu ernähren. 2400 Kcal pro Person sind prinzipiell verfügbar in Afrika (laut Food ans Africultural Organisation, 2003). Und dennoch sind 30 Prozent der Kinder unter 5 Jahren südlich der Sahara untergewichtig.
Viele Afrikanerinnen und Afrikaner wollen bei ihren Familien leben, arbeiten in der Region, in der sie aufgewachsen sind. Und doch verlassen Millionen die Region, in der sie leben wollen, die Staaten, deren Angehörige sie sind, diesen Kontinent. Und das nicht ausschließlich aus purer Reiselust: 17 Millionen AfrikanerInnen sind nach offiziellen Angaben auf der Flucht.
Sie gehen, weil sie dort, wo sie gern blieben, keine angemessenen Jobs, keine Perspektive finden, weil kriegerische Auseinandersetzungen und Verfolgungen ihr Leben bedrohen. Und wenn so viele gehen, leiden die Gesellschaften, die sie verlassen darunter: Es fehlen ihnen ausreichend kreative, motivierte, (hoch) qualifizierte Menschen.
57 Prozent der Menschen, die auf dem afrikanischen Kontinent leben, antworten auf die Frage, ob das nächste Jahr besser werde, als das letzte mit "JA!". So viele wie sonst nirgends auf der Welt.
This is Africa!

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