Samstag, 18. Oktober 2008

Stell dir vor,

du bist verliebt. Sehr verliebt. Alles fällt dir leicht, alles Glück schein möglich. Doch der Arbeitsmarkt deines Landes bietet keine vielversprechenden Perspektiven. Dein Geliebter findet keinen Job. Er hat alles versucht. Trotz abgeschlossener Berufsausbildung - keine Chance. Allein von Luft und Liebe könnt ihr nicht leben - so schön es wäre. Dein Gehalt als Frisörin reicht nicht, um euch beide und ein Kind, das ihr euch wünscht, zu versorgen. Also beschließt er nach Kanada zu gehen. Er will es dort versuchen. Und es klappt nach ein paar Monaten - zum Glück, denn die Ersparnisse sind beinah aufgebraucht - und er bekommt einen Job. Nach einem Jahr sieht alles wieder halbwegs gut aus: Der Job scheint sicher und das Gehalt ist akzeptabel für eure Ansprüche. Ihr entscheidet, die Sehnsucht ist natürlich groß, dass du zu ihm nach Kanada kommen sollst. Nur für ein paar Jahre - vielleicht werden die Umstände daheim bald besser, das hofft ihr. Doch das ist leichter gesagt, als getan: Du bekommst kein Visum von der Botschaft Kanadas. Du verstehst nicht, warum du kein Visum bekommst, niemand begründet es dir.
Dein Geliebter kommt zu Besuch zurück nach Hause: Die Wiedersehensfreude ist groß, ihr heiratet (das, sagte man euch, erhöht die Chancen ein Visum zu bekommen), dann muss er wieder fort. 30 Urlaubtage im Jahr sind nicht unendlich lang. Du gehst mit den Papieren wieder zur Botschaft: Kein Visum. Du versuchst es immer wieder, jahrelang, 1, 2, 3 Jahre! Du bezahlst jedes Mal die Gebühren - bekommst aber kein Visum und noch nicht einmal eine Erklärung.
Eins Tages hörst du von einer Freundin, dass ein Mann in deiner Nachbarschaft gewesen sei, der ein Bild von dir dabei gehabt hätte. Er hätte es den Leuten im Viertel gezeigt und sie über dich und deine Ehe ausgefragt. Viele der Leute kennen dich gar nicht richtig, fühlen sich aber unter Druck gesetzt etwas sagen zu müssen. Sie können sich City erinnern, wann sie deinen Ehemann das letzte Mal hier gesehen hätten.
Plötzlich steht dieser Mann vor deiner Wohnung und kommt herein ohne darauf zu warten, ob du ihn hereinbittest. Er sieht sich um, guckt sich gründlich die Bilder an den Wänden an, läuft bis in dein Schlafzimmer. Er sucht nach Zeichen deiner Ehe oder ob er etwas findet, das auf einen anderen Lebenspartner hinweist. Du sagst, das gehe ihn nicht s an, es sei deine Privatsphäre. Das interessiert ihn nicht. Wer er eigentlich sei. Er sei Mitarbeiter der kanadischen Botschaft.
Du gehst zur Botschaft. Du kannst nicht glauben, dass dies wahr ist. Doch dort sollst du diesmal sogar für die Fahrt dieses Mannes, der bei dir herumgeschnüffelt hat, zu deinem Haus bezahlen. Die Leute von der Botschaft sagen, sie hätten nun den Verdacht, dass es sich bei deiner Ehe um eine Scheinehe handele, denn der Mann hätte keine Anzeichen einer aktiven Ehe gefunden. Du bist entsetzt: Wie denn auch, wenn ihr seit Jahren in getrennten Staaten lebt...
Du wirst gefragt, warum er denn überhaupt zurückgekommen sei, um im Urlaub hier eine Frau zu heiraten, die er so selten sehe? Er hätte doch eine Frau in Kanada heiraten können, wo er seinen Lebensmittelpunkt habe.
Er hat dich geheiratet, weil er dich liebt, sagst du. Wir wollen doch zusammen leben.
Es interessiert sie nicht. Ablehnung. Keine Begründung. Kein Geld zurück.
Beim nächsten Antrag erzählt man dir von einem neuen Gesetz: Wer zu seinem Ehegatten, der in Kanada lebt, ziehen möchte , der müsse zunächst Französisch lernen.
Du gehst also in einen Sprachkurs, mehrere Stunden jeden Tag. Du musst viel lernen, um mithalten zu können. Zeit zum Arbeiten hast du nun nicht mehr. Du musst deinen Job kündigen. Das Geld wird knapp: Die Gebühren für den Sprachkurs, die stetig steigenden Lebenserhaltungskosten und die Visumsbearbeitungsgebühren fressen die Ersparnisse auf.
An dir nagen die Sorgen und die Sehnsucht.
Du hörst von anderen Frauen, denen es ganz ähnlich geht und davon, dass manche Ehen an dieser Situation schon zerbrochen sind. Das macht dir Angst: Wie oft könnt ihr Auseinandersetzungen, Eifersucht, Missverständnisse nicht richtig klären, weil ihr euch so selten seht, nur telefoniert.
Das tut alles so weh, alles ist so mühsam, die Leichtigkeit scheint dir oft gänzlich verloren zugehen.
Manchmal weinst du. Manchmal nicht. Manchmal kommt es dir nach der langen Zeit so vor, als hättest du vergessen, warum du manchmal weinst.
Kannst du dir vorstellen, wie sich das anfühlt? Wie es ist, wenn andere Menschen mehr als du selbst über dein Schicksal zu bestimmen scheinen…
Kannst du dir vorstellen, dass diese Geschichte wahr ist?
Der einzige Unterschied zwischen dieser Geschichte und der Realität: Der Ehemann der Frau, die mir dies erzählte, lebt nicht in Kanada, sondern in Deutschland, dem Land der Einigkeit, des Rechts und der Freiheit.

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