Freitag, 3. Oktober 2008

Kopieren unter'm Sonnenschirm

Der freundliche Herr hinter der Glasscheibe bittet mich, eine Kopie meines Rueckflugtickets zu machen, damit er diese dann hinter meinen Antrag auf Visumsverlaengerung heften kann. Klar, mache ich. "Koennen Sie mir sagen, wo?". Am Tor ginge das, meint er. Ich soll hingehen und dann mit der Kopie wiederkommen. Ansonsten seien die Unterlagen vollstaendig und in Ordnung. Wir gehen also zum Eingangstor der Einwanderungsbehoerde. Dort frage ich eine Frau in Uniform nach dem Kopierer. Sie deutet auf das Tor: "outside! On the left." Ich drehe mich zu Christian und frage "Wieso draussen?"- "Na da steht bestimmt gleich ein einfach an der Strasse ein Sonnenschirm mit 'nem Kopierer drunter." Tatsaechlich. Oder fast zumindestens: am Strassenrand links neben dem Eingangstor steht eine winzige Bretterbude in der gerade so zwei Leute auf ihren Hockern und ein Kopierer Platz haben. Es haette mich nicht wundern sollen. Schliesslich habe ich 15 Minuten zuvor auch Passfotos fuer das Visum hinter der Mauer auf der gegenueberliegenden Strassenseite machen lassen. Wir hatten im Stadtteil Osu, wo wir am Morgen Geld in der bak gewechselt hatten, eine Moeglichkeit gesucht, Passbilder machen zu lassen aber keine gefunden. Logisch denn wozu Passbilder in Osu machen wo sie dort fuer nichts zu gebrauchen sind. Direkt vor der Einwanderungsbehoerde, da, wo Leute Passbilder brauchen, da stehen zwei Maenner mit ihren Polaroidkameras und machen Bilder. Fuer den Alltag ist immer alles genau da, wo es gebraucht wird. So sitzen um Behoerdengebaeude herum Leute mit Schreibmaschinen, die offizielle Briefe tippen und wo Menschen unterwegs sind, auf den Strassen und in den Trotro-Stationen, wird verkauft, was auf Reisen gebraucht wird: Bananenchips, geschnittene Fruechte, Nuesse, Kekse und Getraenke fuer's Proviant sowie Schweisstuecher (sehr praktisch - Anmerkung der Redaktion), Plastikspielzeug, Nagelscheren, Pappnasen, Gelenksalbe und Anti-Bandwurm-Tabletten. Man weiss ja nie!
"Werden die Leute das eigentlich los? Ich kann es mir kaum vorstellen aber es muss sich ja schon lohnen- sonst wuerden sie es nicht machen, oder?" frage ich Kingsley als ich neben ihm in seinem Auto sitze und wir (typisch fuer Accra) mal wieder im Stau stehen. "Vieles nicht! Die meisten Sachen braucht doch kein Mensch" meint er. "Was glaubst Du, wie viel sie verdienen? Wovon leben sie dann?" frage ich weiter. "Ich schaetze, wenn es gut laeuft, verdienen sie genug fuer eine Mahlzeit am Tag. Das ist mehr als nichts. Eine andere Wahl haben sie nicht. Es gibt ja sonst keine Moeglichkeit fuer sie, Geld zu verdienen. Und was sagt letztlich unser Praesident Kufuor? 'Wer nicht arbeitet und nicht genug Geld verdient, der ist faul.'"- "Das hat Kufuor gesagt? Das ist doch wie ein Schlag ins Gesicht fuer diese Leute!" werfe ich ein. "Ja sicher. Das sagt der Praesident, der es nicht schafft, genug Arbeitsplaetze zu schaffen. Diese Leute stehen lieber 8 Stunden in der Sonne und schlucken Abgase und Staub als zu betteln und er sagt, sie waeren faul. Das ist unglaublich!"- "Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich die Leute Faulheit leisten koennen. Es gibt doch kein sogenanntes soziales Netz, in das sie sich fallen lassen koennten. Wenn sie faul rumsitzen wuerden, wuerden sie einfach verhungern." Kingsley zuckt mit den Achseln. "Tja aber da unser eigener Praesident meint, sie seien zu faul."
Wir sehen uns um: Ueberall stehen und gehen von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang Leute, die Dienstleistungen und Waren anbieten. Noetige und auch unnoetige zwar, aber sie klopfen unablaessig den Staub von ihren Waren, schichten kunstvoll alle moeglichen Gegenstaende zu Tuermen, Pyramiden und sonstigen Formationen auf, versuchen charmant bis energisch von ihren Angeboten zu ueberzeugen und sprinten mit Schuesseln auf dem Kopf und einem Kind auf dem Ruecken hinter Fahrzeugen her, wenn sich der Stau doch ploetzlich aufloest, um das Wechselgeld durchs Autofenster rein zu reichen.
Die Arbeitslosenquote ist in Ghana (30%) um ein vielfaches hoeher als in Deutschland- und trotzdem haben wir noch nie jemanden von sich sagen gehoert, er oder sie sei arbeitslos. Die Leute schaffen sich ihre Jobs und erfinden Aufgaben- und das wird akzeptiert und bezahlt. Sie nennen sich "student" oder PrivatlehrerIn, predigen auf oeffentlichen Plaetzen oder in Fahrzeugen, weisen Taxis ein, wechseln Geldscheine in Muenzen, helfen orientierungslosen Touris, nennen sich "Profifussballer" und werben KundInnen fuer Restaurants, Hotels und Shops von Familienmitgliedern. Wir lesen, dass Betteln unter den Akan (grosser Teil der BewohnerInnen in Ghanas Sueden) verpoent sei und vermuten, dass es sich mit Arbeitslosigkeit entsprechend verhaelt. Doch sozialmoralische Norm hin oder her wird es auch einen ganz pragmatischen Grund fuer den Einfallsreichtum der Leute hier geben: sie haben keine andere Wahl.

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