Dienstag, 9. September 2008

"Stammtischzicke"

...steht auf dem Shirt, das er trägt. Es nahm wahrscheinlich seinen Weg aus einem deutschen H&M, über einen Frauenoberkörper, in einen Altkleidercontainer und tauchte in den Gassen vor dem Makola-Market in Accra bei einem Händler auf, der seine Waren auf eine Mauer hängt. Für wenige Cedis hat er es dort wohl gekauft und weiß mit einiger Sicherheit nicht, was das Wort auf seinem Shirt bedeutet.

Die selbsternannte Stammtischzicke dachte, einem afrikanischen Mädchen eine Freude machen zu können mit dieser Spende. Was sie nicht ahnte: Diese gespendeten Kleider werden hier nicht verschenkt. Sie werden verkauft- an jeder Ecke rund um die Märkte können wir es sehen. Diese Kleider kosten ein paar Cedis- zu viel, wenn man von einem Cedi am Tag lebt, zu wenig, als dass die lokale Textilindustrie mithalten könnte.

Zum Glück gibt es doch viele Personen mit Weltgerechtigkeitsempfinden- nur haben ihre Spenden oft gegenteilige Effekte. Europa hat viel, Afrika hat wenig. Also verschiffen wir etwas von den Ersteren zu den Letzteren- das tut Europa nicht weh und macht Afrika glücklich.
Die G8 versprechen 2007 in Heiligendamm Millionen für die Bekämpfung von Malaria, Tuberkulose und HIV in Afrika. Begrüßenswert! Kurzfristig: Ja, keine Frage! Langfristig: Nein. Afrikanische PatientInnen werden immer am europäischen Tropf hängen, wenn Roche das Patent auf das Malariamedikament Lariam besitzt. Der Konzern verdient an den Versprechen der G8 –falls sie eingelöst werden- und die afrikanische Pharmaindustrie darf keine Generika (das sind gleichwertige Nachahmerprodukte) herstellen. Dafür wurde auf demselben G8-Gipfel gesorgt (siehe dazu: www2.gruene-jugend.de/uploads/g8_spunk.pdf Artikel über die Afrikapolitik der G8).
Drehte die deutsche Regierung den Hahn zu, wenn sie die Good Gouvernance in Gefahr sehe? Das träfe dann aber nicht die Regierung Ghanas, sondern die Zivilbevölkerung. Afrikanische Regierungen werden von europäischen mit Hilfen belohnt, wenn sie nach ihrem Verständnis “gut regieren”- sich selbst zu versorgen hat niemand lernen dürfen und können. Natürlich ist es anerkennenswürdig, wenn europäische Regierungen Gelder zur Verfügung stellen, die beispielsweise in das Gesundheits- oder Bildungssystem investiert werden sollen. Doch denke bitte niemand, dass diese afrikanischen Despoten dann nicht auf die Idee kommen, es nicht mehr für nötig zu halten, selbst in diesen Bereichen Geld auszugeben. Also bauen sie von ihrem eigenen Geld lieber ihre Paläste und Armeen aus. Weniger Staatliche Subventionen in den afrikanischen Ländern findet die Weltbank und IWF (Internationaler Währungsfond) außerdem klasse: Die setzen nämlich auf die Förderung der Wirtschaftlichkeit, um den Staatshaushalt zu sanieren. Dazu muss ordentlich privatisiert werden. Nur leider gibt es hier keine privaten Unternehmen, die aktiv werden können. Dafür gibt es ja die Kirchen und Stiftungen, die Gesellschaften und Vereine in Europa.
Was haben wir am Ende dieser Kette? Hervorragend bezahlte Jobs für EuropärInnen, Almosen für AfrikanerInnen. Wer soll da in Afrika selbstbestimmt handeln?
Wer bestimmt eigentlich, wo wem mit wie viel geholfen wird. Das Geld, das im bundesdeutschen Haushalt für Entwicklungshilfe, Krisenprävention vorgesehen ist, wandert lange. Es beginnt seinen Weg in den Ministerien: BMZ (Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) oder AA (Auswärtiges Amt). Von dort wird es weiter verteilt: DED (Deutscher Entwicklungsdienst), GTZ (Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit), EED (Evangelischer Entwicklungsdienst) und die politischen Stiftungen. Von dort aus wird es vor Ort an lokale Projekte verteilt. Wie viel welche politische Stiftung bekommt, hängt von der Anzahl der Sitze der jeweiligen Parteien im Bundestag zusammen. D.h., die Art der unterstützen Projekte hängt mittelbar mit der Meinung des deutschen Volkes zusammen. Das kann für Afrika gut sein, muss aber nicht. Wer kann nicht nachvollziehen, dass Deutsche erst an ihre eigenen Wirtschaft denken und dann an die afrikanische und wer sagt, dass die Stiftungen nicht auch so denken? Der Verwaltungsapparat verschlingt Unmengen des Geldes, das ursprünglich bereitgestellt wurde und die Leute, die hier vor Ort für die verschiedenen Institutionen arbeiten- und da meinen wir die deutschen EntwicklungshelferInnen und nicht die ghanaischen MitarbeiterInnen- verdienen weit mehr, als man für ein Otto-Normal-Leben hier und in Deutschland braucht. Das sind keine altruistischen Gutmenschen! Man sieht sie du Dutzenden auf den Straßen und in den Bussen Accras.
Einer dieser Menschen schwärmt für Afrika, arbeitet in der H.S./Stiftung in Accra, sitzt gemeinsam mit uns Sonntag beim Frühstück und spricht davon, dass manche Menschen hier “kein Bildungsniveau” hätten. Solche Aussagen missachten, dass es in einer außereuropäischen Gesellschaft Wissensbestände gibt, die durch soziale Institutionen vermittelt werden, die sich vom deutschen Bildungskonzept unterscheiden und sich mit deutscher Prüfungs- und Abfragemethodik nicht messen lassen. Dass dies im Rahmen der Globalisierung der Wirtschaft, steht außer Frage und soll an dieser Stelle nicht diskutiert werden.

2005. Ich bin gerade mit der Schule fertig und meine, die Welt retten zu müssen. Nicht damit, dass ich mein Abi-T-Shirt “Ein Drama in 13 Akten” nach Afrika schicke, sondern ich steige selbst in ein Flugzeug nach Nairobi. Mein Weltrettungsversuch beginnt und endet damit, dass ich einem dürren Mädchen in Barkorwa ein paar Kekse in die hand drücke. Wenige Minuten später bin ich von 50 bettelnden Kindern umringt. Unverständnis und Streit bricht aus: Ich habe auch Hunger! Warum sie und nicht ich? Und morgen?
In den folgenden Wochen merke ich, dass ich für mein persönliches Heldentum jemanden einen Arbeitsplatz nehme, wenn ich in der Schulbibliothek Bücher einschlage.
In den folgenden drei Jahren lernen ich, was Globalisierung theoretisch ist, ich erfahre von der WTO (World Trade Organization) und dem patentrecht, lese Texte über Schutzzölle und importierte Produkte.
Zum Büchereinschlagen war ich sowieso zu ungeschickt und mein Englisch ist zu schlecht, als dass ich hätte den SchülerInnen in Kenia etwas Neues beibringen können. Also habe ich viel mit den Leuten gequatscht über Religion, Geschlechterrollen, Vorstellungen von Europa, kenianische Geschichte. Und ich habe gelernt, wie man Wasser aus einem Brunnen schöpft, Feuer im Ofen entfacht, Ugali zubereitet und wie lange es dauert für eine E-Mail 40km auf einer Schotterpiste in die nächste Stadt zu fahren.
Ich habe gemerkt, wie vielschichtig die alltäglichen und außergewöhnlichen Prozesse sind: Wer könnte behaupten, sie komplett zu durchschauen. Sie funktionieren zuverlässig und nachhaltig! Wer könnte sich der Illusion ergeben, etwas verändern zu können. Natürlich ist es leichter zu sagen, was alles schlecht läuft, als sich weit aus dem Fenster zu lehnen und einen Änderungsantrag an die Welt zu stellen.

Doch wenn mich jemand fragt, dann habe ich ein paar Stichworte, über die wir diskutieren können: Ernährungssouveränität, Patentrechtsreform, Schutzzölle, Ende der Agrarsubventionen in den OECD-Staaten und einen fairen Welthandel, der auf reflektiertem Konsum der EndverbraucherInnen basiert.
J. J. Rawlings, ehemaliger Präsident Ghanas, kommentierte den G8-Gipfel 2005 und die beschlossenen Hilfen für afrikanische Länder in einem Artikel: ”I would also have preferred to see some discussions on fair trade, rather than aid to create substainable development.”
Ich bin nicht gänzlich gegen jede Hilfe. Mein tiefster Respekt gebührt denjenigen, die in Krisenregionen lebensrettende Maßnahmen leisten wie den MitarbeiterInnen des Roten Kreuzes und von “Ärzte ohne Grenzen”.
Der Wissenstransfer ist wichtig und sollte von Studierenden und ArbeitnehmerInnen getragen werden. Interkulturelle Begegnungen sind wichtig, damit Vorurteile abgebaut werden. Ganz grob umrissen gibt es zwei Ebenen, auf denen Veränderungen initiiert werden müssen: Staatliche und zivilgesellschaftliche. Staaten müssen aufhören, inkoheränt zu handeln und Rahmenbedingungen schaffen, damit wirtschaftliche AkteurInnen es auch nicht können. In der Zivilgesellschaft muss ein Bewusstsein für globale Zusammenhänge entstehen und praktischen Niederschlag in jeder Handlung finden.

Wenn mich jemand fragt, ob ich in Ghana gewesen bin, weil ich Entwicklungshelferin bin, dann sage ich: “Wenn Du meinst, dass ich helfen möchte, den Stammtischzicken, dem Frauenfußball Stramme Mädels e.V. und www.leckeresseninkleinkleckersdorf.de eine Bewusstsein von global-politischen Zusammenhängen zu entwickeln. Ja, dann nenne ich mich Entwicklungshelferin.” Dafür gehe ich in Ghana 8 Wochen zur Uni und versuche, mit Leuten zu sprechen. Ich versuche, gegen die Ungerechtigkeiten anzulernen, sie nieder zu schreiben und kaputt zu diskutieren.

1 Kommentar:

Hannah hat gesagt…

Hmm.... ich mag euren Blog ja (auch wenn ich ihn etwas spät lese).
Aber über den Weg der deutschen EZ könnten wir nochmal diskutieren ;-)