Donnerstag, 25. September 2008

In the gutter

An den Straßenrändern, zwischen Fahrbahn und Hauswänden sind etwa 50 cm tief Gräben ausgehoben. Manchmal, an einigen wenigen Stellen sind diese Gräben mit Steinplatten überdeckt, die das übersteigen erleichtern. In diesen Gräben, die gutter, fließt manchmal etwas dunkles Wasser, meistens ist es Schlamm, eine Mischung aus Abwasser und Fäkalien, Speisereste schwimmen zwischen Plastiktüten, Laub, Drähten, Stoffresten und was sonst noch so im Allgemeinen Müll genannt wird und wir uns nicht genau betrachten wollten. Manchmal stehen Männer davor, hocken Frauen darüber und steigen Kinder hinab, um in die gutter zu urinieren. Wenn es regnet, stiegt der Schlammspiegel, regnet es heftig, quillt es an manchen Stellen über, dann - vielleicht auch sonst und wir merken es nur gar nicht mehr - dann auf jeden Fall intensiver, stinkt es nach Kot, Urin, Schimmel, Verwesung...
Wir sahen einen Mann, der eine Angel in das gutter hielt, ein Kind, das etwas zum Spielen herausfischte, Leute, die mit Schaufeln, Stöcken oder den Händen die gröbsten Verstopfungen beseitigen, den Unrat heraus heben und in Schubkarren oder auf dem Fahrrad wegtransportieren (wenn sie es nicht einfach am Straßenrand liegen lassen) ins nächste Gestrüpp, in ein Waldstückchen, hinter eine Mauer oder einen großen Stein, wo der Müll sich sammelt und türmt, gammelt und stinkt, verbrannt wird, das Regenwasser färbt, Stadtteile mit süßlich beißendem Geruch überzieht.
Es gibt Schilder an den Straßen und auf Verpackungen, auf denen die Aufforderung steht "Keep your city clean!" und eine Strichfigur ist zu sehen, die etwas in einen Eimer wirft. Plakate drohen mit Geldstrafen, wenn Müll auf die Straße geworfen wird und NGOs entwickeln Kampanien zur Aufklärung über de Umweltschutz (z.B. "Friends of the earth, Ghana").
Alle beklagen Dreck und Gestank, es gibt kaum Müllbehälter oder es fehlt ihnen der Boden, die Leute sind peinlich berührt bis leicht aggressiv, wenn Christian versucht eine Müllverbrennung zu fotografieren.
Zwei US Soziologie Professoren kommen in einer Studie zu dem Schluss, dass "Umweltbewusstsein (...) weder von Reichtum (abhänge) noch von besonderen Wertvorstellungen, die dieser hervorruft." (DIE ZEIT vom 09. August 2008)
Und doch schmeißen die Leute Plastik aus dem Trotro- oder Taxifenster, lasse Verpackungen auf die Straße fallen, bei jedem Einkauf gibt es ein, zwei, drei Plastiktüten gratis.
Im Gespräch klagen die Leute, es wird deutlich, dass sie sich der Problematik durchaus Bewusst sind. Und doch scheint es, wie so oft, an der Überzeugung zu mangeln, selbst etwas ändern zu können, als Einzelperson mit Verantwortung zu tragen.
Die Plastikwahnsinn, die Müllflut scheinen eine Eigendynamik zu entwickeln, niemand weiß mehr so genau, wie es anfing und warum, aber jetzt ist’s halt so und wie es ist, so lassen es alle, weil es einfacher scheint, bequemer, es ist anders nicht mehr vorstellbar.
Aber es gibt etwas, das zeigt ein hochaufgelöstes Bild davon, wie eine Stadt ohne dieses stinkende Müllchaos aussehen kann:
Der Fernseher im Goethe Institut zum Beispiel. Da läuft eines Morgens eine Reportage auf Deutsche Welle-TV über das unterirdische Kanalsystem von Dresden. Die Männer, die dort arbeiten stecken in Ganzkörpergummihüllen, tragen kniehohe Stiefel, superdicke Handschuhe und Helme, benutzen Zangen, schippern mit einem Schlauchboot durch die Kanäle und sprechen von den Herausforderungen an Flexibilität und Kreativität "hier unten". Sie wissen, sie tun einen wichtigen Job für die Menschen in der Stadt über ihnen - und die merken davon nichts. Dort oben ist nichts zu sehen und nichts zu riechen von Dreck und Scheiße.
Neben mir sitzt einer der Schüler, einer der im Goethe Institut für sein Visum Deutsch paukt. Er sieht auf den Fernseher, verzieht keine Miene. Ich betrachte seine und meine Füße, die in Flipflops stecken und denke: Ich kann nur hoffen, das es bloß Staub und Sand ist, was unsere Füße mit einer klebrigen dunklen Schicht Tag für Tag überzieht nach ein paar Schritten auf Accras Straßen.
Später am Tag unterhalte ich mich mit Henry. "Die einen", sagt Henry, "haben immer das Bild von Ghana im Kopf, immer, die ganze Zeit während sie in Europa sind. Du kannst sie beschimpfen, schlagen und bespucken - sie sagen nichts! Sie denken an zu Hause, denken an die, für die sie das über sich ergehen lassen, rechnen sich aus, wie lang sie brauchen, um so und so viel Geld zu verdienen. Sie bleiben nur so lange wie nötig. Und dann zurück! Zurück nach Hause, wo sie etwas dafür tun wollen, dass es schöner wird, als das Bild in ihrem Kopf.
Die anderen fliehen vor de Dreck hier, vor ihrer eigenen Kriminalität, weil sie keine andere Option mehr gesehen haben und vor der Bestrafung. Glaub mir: Die Gefängnisse hier sind die Hölle! Und diese Leute sehen im Fernsehen ein Bild von einem Gefängnis in Deutschland..."
Henry lacht, er lacht oft und manchmal so sehr, dass er sich die Augen reibt und seine Stimme heiser klingt. Er sagt also mit vom Lachen gepresster Stimme: "Und weist du, was sie denken, wenn sie ein Bild von einem deutschen Gefängnis sehen? Amona, Amona! Sie denken: Ey, das sieht aus, wie bei mir zu Hause! Nichts in Deutschland kann also wirklich schlimm für mich sein. Ist das nicht traurig? Die Wohnungen der Leute hier sehen nicht gemütlicher aus, als ein deutsches Gefängnis!"
Und ich sage: "Und vor diesen Wohnungen läuft beim nächsten Regen das gutter über..."
Henry quiekt fast vor Lachen und klopft mir auf die Schulter: "Yes! Uh Amona! Let's go to a clean german prison!"

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